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Aktuelles – Analysen – Austausch zu Software und Services für die persönliche Literatur- und Wissensorganisation

„Mendelsevier“ – „Mendelete“ …? Erklärungen, Reaktionen, Konsequenzen in Sachen Mendeley und Elsevier

Die Gerüchte zu einer millionenschweren Übernahme des Desktop- und Webdienst kombinierenden Literaturverwaltungstools, wissenschaftlichen sozialen Netzwerks und gleichnamigen Londoner Startups Mendeley durch den Verlag Elsevier bzw. der Verlagsgruppe Reed Elsevier schwelten bereits einige Monate. Dies geschah nicht zuletzt in Verbindung mit der Nachricht des – inzwischen vor faktisch genau einem Monat vollzogenem – Abschaltens von Connotea  (vgl.  hierzu den Blogbeitrag „Unruhe auf dem Literaturverwaltungsmarkt – Connotea vor dem Aus“. – Achtung: der Datenexport ist nur noch bis zum 16. April möglich!)  So berichtete unter anderem die Autorin Ingrid Lundgren auf  TechCrunch am 17. Januar in einem – vor allem in den einschlägigen Sozialen Netzwerken, Twitter und Facebook – vielzitierten Beitrag über einen bevorstehenden Kauf. Einen Tag später nahm etwa Sean Takats, einem der Haupt-Entwickler von Zotero, die Nachricht zum Anlass, in seinem Weblog „The Quintessence of Ham“ bemerkenswerte persönliche Gedanken zur Ökonomie von Literaturverwaltung(ssoftware) zu veröffentlichen. Das Freemium-Geschäftsmodell von Mendeley ist seit jeher existent und wurde sukzessive durch das kostenpflichtige Team Plans und insbesondere mit dem Angebot der Institutional Edition in Kooperation mit der großen Bibliotheks- und Verlagssservice-Firma Swets ergänzt. Andere Anbieter bzw. Software, allen voran Thomson Reuters EndNote, ProQuests RefWorks, Papers (Springer) oder auch Newcomer wie Labtivas Readcube (u.a. Partnerschaften mit Nature und Wiley& Sons), agieren ähnlich organisationell eingebunden – zumeist waren und sind diese Tools im Vergleich zu Mendeley jedoch nicht grundsätzlich kostenfrei zu benutzen…

Vor wenigen Tagen nun, am 9. April, wurden die „rumours“ – manifestiert sowohl durch eine Pressemitteilung seitens Elsevier, aber vor allem durch Mendeley selbst zur offiziellen Wahrheit: „Team Mendeley is joining Elsevier; versehen mit dem Titelzusatz im Post des Mendeley-Weblogs: „Good things are about to happen!“ und mit einer vergleichsweise ausführlichen Stellungnahme zu den Motivationen und Hintergründen dieses Schrittes aus Sicht von Mendeley inkl. der Beschreibung bereits erfolgter Zusammenarbeit – etwa bzgl. des – seit 2011 nicht mehr existierenden – Social Bookmarking Dienstes 2collab. In Bewusstsein der bereits beschriebenen Gerüchte und die in der Tendenz mehrheitlich ablehnenden und besorgten Reaktionen, nicht zuletzt in Kenntnis des – vereinfacht formuliert – in der Wissenschaftswelt stark umstrittenen Rufes von Elsevier (Stichwort: Elsevier-Boykott) veröffentlichte Mendeley zudem umgehend eine Übersicht der aus ihrer Perspektive wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema  und legt naturgemäß die Vorteile der Integration in den Verlagskonzern dar, vor allem in Beteuerung der Wahrung und Ausbau der eigenen Innovationskraft, Eigenständigkeit,  technischen Offenheit – Stichwort OpenAPI sowie der Berücksichtigung von Prinzipien des Open Access. Es wird in dem Statement  u.a. die grundsätzliche, auch zukünftige  in der „Earth Version“ bestehende kostenlose Nutzbarkeit von Mendeley bekräftigt, verbunden mit dem Geschenk der sofortigen Verdopplung des Speicherplatzes von 1 auf 2 GB. Außerdem werden bessere Interoperariblität zu den Elsevier-eigenen Datenbanken (SciVerse, Scopus, Science Direct etc.) und vor allem der faire Umgang mit den Nutzer- und Nutzungsdaten bekräftigt. („You still own your data and can delete it at any point in time.“)

Nichtdestotrotz und wenig überraschend gibt es ungebrochen etliche, überwiegend skeptische bis negativ-ablehnende und teilweise heftig radikale Reaktionen, die sich etwa auf Twitter anhand der Hashtags #mendelsevier und #mendelete u.a. in offen bekundeter Löschung von Mendeley-Accounts ausdrücken. (Inwiefern es sich bereits nach wenigen Tagen bzw. seit den ersten Gerüchten um eine signifikante Quantität handelt, kann ich nicht sagen.) An dieser Stelle seien einige wenige Statements aus dem Reaktionsspektrum herausgegriffen. Es ist einerseits zu früh, geschweige denn ein einzelner Blogpost ist dafür geeignet, die unzähligen bereits existierenden uns sicher noch folgenden Meldungen, Meinungen, Diskussionen und Analysen in den (wissenschaftlichen) sozialen Netzwerken, in (persönlichen) Weblogs und weiteren digitalen wie analogen Publikations- und Kommunikationsplattformen zusammenzufassen und erschöpfend zu interpretieren. (Etwa für eine Abschluss- z.B. Bachelorarbeit könnte ich mir das gut vorstellen). Bemerkenswert sind etwa die Kommentare zu den bereits genannten Posts im Mendeley Weblog sowie auf der Facebook-Seite von Mendeley inkl. der Reaktionen der Firma. Ein sehr differenzierter Beitrag ist Kent Andersons Scholarly Kitchen-Artikel „A Matter of Perspective — Elsevier Acquires Mendeley . . . or, Mendeley Sells Itself to Elsevier“, der sich u.a. auf eine bereits einen Tag vor den offiziellen Pressemitteilungen erschienene TechCrunch-Meldung bezieht. An beide schließt sich eine rege Kommentardiskussion an. In welche Richtung es etwas allgemeiner gesprochen hinsichtlich einem Schlaglicht im Verhältnis der Verlage zu Open Access geht bzw. höchstwahrscheinlich gehen wird, skizziert der mit Literaturverwaltung seit langem – auch publizistisch – vertrauten PLoS-Redakteur Martin Fenner mit einem kurzen Statement in seinem Weblog „Goobledygook“:

For me this trend signals that publishers have realized that we are moving into an Open Access publishing model, which in contrast to subscription publishing is not about owning the content, but about providing valuable services around content that is free to read and reuse.

In der deutschen Biblioblogosphäre hat sich neben kurzen Meldungen bei Archivalia und dem Netbib Weblog bisher vor allem das Weblog Infobib bzw. Christian Hauschke zu Wort gemeldet. Er hat u.a. spontan eine kleine, anonyme, jedoch bereits geschlossene und ausgewertete (warum so schnell?) Umfrage darüber initiiert, wie man mit seinem Mendeley-Account umgehen wird. Es gibt zwar ein mehrheitliches Votum für die Signalisierung der Löschung des Accounts, die anderen Antworten zusammengenommen relativieren jedoch eine auf den ersten Blick eindeutige grundsätzliche Abwehrhaltung. Schließlich geht es insbesondere um die Frage, welche Alternativen es zu Mendeley gibt. Eine populäre individuell wie teammäßig zu prüfende Option ist das beliebte und verbreitete Zotero, welches sich in den zurückliegenden Jahren vom ausschließlichen Firefox-Plugin durch Entwicklung von Zotero Standalone und Zotero Web zu einem echten „kombinierten System“ mauserte und vor zwei Tagen in der Version 4 veröffentlicht wurde. (Mehr dazu in einem anderen Blogpost zu gegebener Zeit.) Ebenso bei Infobib findet man dazu konkrete Wechsel-Hinweise (das Zotero-Forum im Auge behalten!) und etwas Diskussion. Quasi nebenbei weist Lambert Heller, der ja mit seinem Statement „Literaturverwaltung muss sterben“ nicht zum ersten Mal einen sehr visionären, noch nicht in greifbarer Nähe befindlichen Ansatz zum Thema vertritt, auf eine aus seiner Sicht derzeit innovativste, experimentelle Entwicklung in Sachen Literaturverwaltung hin: Knitcitations.

Über die reine Anwenderfrage hinaus ist an dieser Stelle insbesondere relevant: Inwiefern tangiert die Mendeley-Übernahme und allgemeiner die nun noch intensivere dynamische  Software- und Geschäftsmodellentwicklung, Bibliotheken und BibliothekarInnen, in ihren existierenden, konkret geplanten oder generell noch kommenden Services für Literaturverwaltung im allgemeinen und für Mendeley im speziellen? Unter Berücksichtigung der unlängst existierenden Softwarevielfalt mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen – reflektiert,manifestiert und visualisiert in div. Softwarevergleichen – sehe ich persönlich kein notwendigen Anlass zum „Umbruch“ im Service bzw. zum radikalen Umdenken; zumal Mendeley an (Hochschul-)Bibliotheken vergleichsweise – zu – selten Gegenstand von Literaturverwaltungsservices war und ist. Meine Erkenntnis und daraus geschlussfolgerte Empfehlung: Mendeley hat durch seine Einbindung bei Elsevier sein ureigenes Geschäftsmodell (noch) nicht verraten; muss sich aber in Zukunft stets daran messen lassen, was das Startup in der Pressemitteilung, in den Q&A und in dem direkten Nutzerdialog verspricht. Als Serviceanbieter – ob nun Bibliothek oder andere Informationsdienstleistungseinrichtung – gilt es genau positive wie negative Veränderungen durch Verlagseinfluss zu erkennen, wahrzunehmen und – etwa auf dieser Plattform hier – diskutierend zu analysieren und bei der vergleichenden Einschätzung und Empfehlung von Mendeley gegenüber den NutzerInnen / KundInnen transparent zu machen. In diesem Sinne: Ich freue mich auf eine lebhafte, konstruktive Kommentardiskussion oder über den alternativen Austausch über weitere Kollaborationskanäle.

Bleibt nur noch die Beantwortung der Mendeley-Frage in eigener Sache: was passiert mit der in bzw. mit Mendeley kollaborativen, aber vor allem von mir selbst administrierten und gepflegten Literatursammlung „Reference Management“? Derzeit sehe ich – nicht zuletzt aufgrund des insbesondere sichtbaren rezipierenden Interesses über die Gruppenmitglieder und Follower –  keinen akuten Anlass die Pflege dort unverzüglich einzustellen oder gar die Gruppe aufzulösen. Ohne Mehrheits-Konsens der Community ist das auch weder fair noch ratsam. Gleichwohl empfinde ich es  schon länger, dass Zotero – nicht zuletzt funktional – immer attraktiver  für die Umsetzung dieses Bibliographie-Angebots wird. Kurzum: Es ist eine ernsthafte Überlegung im Gange zu Zotero umzuziehen, bei idealerweise gleichzeitiger Spiegelung der Literaturdaten in Mendeley. Akut fehlt mir jedoch die Zeit das ernsthaft anzugehen, außerdem ist ja auch noch eine explizite, ausgefeiltere technische Unterstützung als RIS / BibTeX- Ex- und Import via API in Aussicht…

In jedem Fall: Mendeleys Integration in die Elsevier-Verlagsgruppe ist eine so spannende wie bezeichnende Nachricht und Entwicklung für alle Beteiligten: für Mendeley und Elsevier selbst, für den Softwaremarkt und deren Anbieter insgesamt, für Daten- und Serviceanbieter wie Bibliotheken und deren MitarbeiterInnen –  und vor allem für die (potentiellen) Anwenderinnen und Anwender.

Matti Stöhr

Filed under: Software & Tools, , , , ,

10 Responses

  1. Matti Stöhr sagt:

    Noch ein ergänzender Hinweis auf einen wichtigen Weblogpost zum Thema von Douglas Whitaker – PhD-Student im Bereich „Statistics Education“ aus Florida – der u.a. anschaulich daran erinnert und erklärt, dass und wie man Mendeley auch ohne Account nutzen kann: http://douglaswhitaker.com/on-elsevier-buying-mendeley/

  2. Martin de la Iglesia sagt:

    Was ich bei den ganzen Diskussionen über Alternativen zu Mendeley vermisse, ist die Berücksichtigung der Self-Archiving-Funktionalität. Welche andere Literaturverwaltung ist denn zugleich ein Repository, in dem jedermann alles zweitveröffentlichen kann?

  3. Matti Stöhr sagt:

    Jein. Man kann auch in Zotero (Web) CV’s mit Publikationsliste(n) und Volltextverknüpfung pflegen und diese veröffentlichen und teilen. Die (angehängten) Texte sind jedoch meines Wissens nicht über eine Suchfunktion auf der Zotero-Webseite plattformübergreifend recherchierbar und u.a. auch nicht über etwaigige Recommenderfunktionen auffindbar…

  4. CH sagt:

    Zur schnell wieder geschlossenen Umfrage: Mich hat interessiert, wie unter dem frischen Eindruck der Übernahme entschieden wird. Eine längere Umfrage wäre natürlich auch interessant gewesen, die Kritik ist durchaus berechtigt.

    In den letzten Stunden übrigens kaum noch etwas hinzu.

  5. Jana Votteler sagt:

    Das ist eben das Alleinstellungsmerkmal – und wie ich finde auch sehr präsente an Mendeley: der Research Catalog und die Profile mit eigenen Publikationen und Statistiken (Stichwort Impact), die über Google findbar sind. Dieser von Mendeley generierte „Mehrwert“ wird sicher bald kostenpflichtig werden und hebt das Angebot hervor aus der Masse der reinen Literaturverwaltung.

  6. […] in letzter Zeit das wohl größte Aufsehen und nicht zuletzt die Gemüter erregt.  Bereits an dieser Stelle wurde das Thema ausführlicher behandelt. Ergänzend zu den dort erwähnten Diskussionsbeiträgen, […]

  7. […] der Übernahme von Mendeley durch Elsevier schrieb ich Mitte April in einem den Sachverhalt thematisierenden Beitrag auch etwas zur […]

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